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Und plötzlich ist die Hoffnung weg

Es war irgendwann zu Beginn des Jahres 2007. Die Gründung der LINKEN war beschlossene Sache, auch die Jugendverbände sollten und wollten sich zusammenraufen, gründeten Verhandlungsgruppen, um der Partei wenigstens einmal geschlossen gegenüber treten zu können. Ich durfte einer dieser angehören, damals für die WASG. Mangels eigener Jugendstruktur wurden wir vom Vorstand beauftragt, den Prozess zu gestalten, zu vermitteln zwischen Linksjugend und Solid. Also jenen Jugendverbänden, die sich in der PDS über Jahre spinnefeind wurden.

Wir sollten die künftige Satzung verhandeln, hier habe ich Dich das erste Mal getroffen. Einprägsam, wie mir heute schmerzhaft wieder auffiel. Ganze dreimal standst du als Vertreter der Linksjugend auf, packtest demonstrativ deine Sachen und wolltest den Verhandlungstisch verlassen, in dieser ersten kurzen Verhandlungsrunde. Geschick in Sachen Strategie und Taktik, diese Chuzpe hinterließ einen bleibenden Eindruck. Der Typ hatte es drauf, ich war, wenn auch leicht genervt, beeindruckt.

Fortan blieben wir in Kontakt, erst in Sachen internationaler Arbeit des Jugendverbands, später der Partei. Du warst immer mit von der Partie. Du hattest den Anspruch, Dinge zu gestalten, einfaches abnicken war dir zuwider. Nur selten wirktest du wirklich zufrieden, weder mit dir noch mit anderen. Manchmal gar getrieben, von deinen Ansprüchen und denen, die an dich gestellt wurden.

Und doch gab es da diese vielen Momente, in denen Leben auch für dich einfach nur schön war. Sei es in Lissabon, deiner Stadt, der Stadt, in der du aufblühtest, dich zuhause fühltest wie sonst nur in Berlin. Sei es in Gesellschaft von guten Freunden, in unserer Stammkneipe Chagall. Auf einer der unzähligen Feierlichkeiten, die du als DJ Dr. Santos mit Geschmack, diesem Gespür für die „richtige“ Musik und deinem unnachahmlichen Hüftschwung zu etwas Besonderem machtest. Selten ließt du etwas über dein Innenleben durchscheinen, aber wenn, dann wusste man, dieser Mensch ist scheiss’n sensibel, hat viel gesehen, viel erlebt. Du nahmst einen ein, ob man wollte oder nicht.

Viele Male reisten wir zusammen durch Europa, dein Zuhause. Und egal wo wir hinkamen, ein Teil von dir war immer schon da. Paris, Lissabon, Madrid, Brüssel, Prag - man kannte dich, du kanntest Gott und die Welt. Kanntest dich aus, konntest berichten, einschätzen, nicht selten exakt zutreffende Vorhersagen machen. Bei Wahlen, bei Kontroversen, wo immer man dich traf, du unterwegs warst. Dominic, der Europäer. So wurdest du mein Freund. Wir teilten Leidenschaften: ein neues, ein geeintes, ein soziales - ja, ein demokratisch-sozialistisches Europa. Und gute Partys, gute Musik, mitnehmen was geht.

Was haben wir gefeiert, getrunken, unseren FCU bejubelt und bedauert. Du warst leidenschaftlicher Fan. Und spieltest selbst beeindruckend Fussball. Eine ganze Zeit lang spielten wir mit den Roten Socken nur so zum Spass und gegen „grüne Tulpen“. Und der kleine Mann mit dem grossen Charisma immer vorne weg, Kippe und Bier selbst aufm Rasen immer in der Nähe. Es sollte ja nicht in Sport ausarten. 

Unsere Reise setzte sich im Vorstand des fds fort. Spritzig, innovativ, selten um einen Vorschlag zur Lösung eines Problems verlegen, immer eine Hand frei, um noch irgendwo zu helfen. Du hast uns, dem ganzen Laden einen unglaublichen Drive verpasst. Gern auch mal etwas autistisch unterwegs, lieber alleine machen, dann geht wenigstens nichts schief. Weil man jemanden falsch eingeschätzt hat, weil jemand nicht lieferte. Das war Dom, das warst du. Man konnte dich nur so bekommen, man musste dich so nehmen. Ließ man sich darauf ein, hatte man einen Kameraden im besten, im sozialistischen Sinne. Man musste nicht immer einer, deiner Meinung sein. Wir haben miteinander auch schwierige Zeiten erlebt. Aber du warst da, wenn es darauf ankam. Was man umgekehrt dir gegenüber nicht immer und von jedem sagen konnte. Auch dass gehört zur Wahrheit, wenn man über dich spricht. 

Im Sommer der Knall, ein Anruf erreichte mich aus Berlin, der Heilig hätte es am Herzen und sei ausser Gefecht. Wochen des Bangens und der Hoffnung folgten, insbesondere deine Lebensgefährtin und wir Freunde wollten dich nicht aufgeben, sahen Fortschritte auf deinem Weg zurück ins Leben. Man konnte spüren, wie du kämpfst. An deinem Bett fühlte und ich fühle mich noch immer schuldig, Signale nicht gesehen, nicht früher und öfter da gewesen zu sein. 

Und plötzlich war die Hoffnung weg. Eine beschissene Infektion war zu viel. Die Kraft am Ende. Aus. Nichts mehr. Und wie alles bei dir ein Statement war, Kleidung - immer schwarz, ausser zur Nachtruhe, dann weiss - Musik, Auftreten, so dürfen wir wohl auch deinen letzten Tag noch als Statement verstehen: es war der Reformations-Tag 2017. Reformer eben, durch und durch. 

Die Tränen sind noch lange nicht trocken. Das Rad der Welt dreht sich weiter, als sei nichts geschehen. Und doch ist meine Welt heute eine andere. Ich hätte dir gewünscht, dass du deine neue Liebe, die dich merklich verändert hat, noch lange geniessen kannst. Ich hätte dir gewünscht, dass du die Anerkennung für deine Leistungen bekommst, die angemessen gewesen wäre. Ich hätte dir gewünscht, dass du diesen Kampf gegen deinen Körper gewinnst. Ich hätte mir gewünscht, noch eine Weile an deiner Seite streiten zu dürfen. Es sollte nicht sein. Ich werde eine Weile brauchen, das zu schlucken. 

Unvergessen bleibt dein Engagement, deine Lebenslust, dein Witz, dein Divenhaftigkeit, deine Gradlinigkeit, deine Verbindlichkeit, dein Charme, deine Liebe zu deinen Kindern. Ich habe viel von dir, auch mit dir gelernt. Du wirst eine Inspiration bleiben. Und wir werden deinen Weg fortsetzen, werden kämpfen, streiten für eine moderne Linke, ein besseres Europa. Denn genau das hättest du von uns erwartet. 

Anossa und Danke für alles, mein Freund. Ich wünsche dir eine gute Reise. Até sempre...

Dominic Heilig starb am 31. Oktober 2017 im Alter von nur 39 Jahren. 



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